Die Pflege im Januar 2022: Zwischen Pflegebevollmächtigten & Bonuszahlungen

Die Pflege im Januar 2022: Zwischen Pflegebevollmächtigten & Bonuszahlungen

Willkommen in unserem nun startenden Format des monatlichen Pflegerückblicks. Wir werden mit Annemarie Fajardo die letzten Wochen der Pflegebranche Revue passieren lassen.

Wir werden sehen, was uns das Jahr 2022 bringt und freuen uns, dass Annemarie uns mit ihrer professionellen Sicht auf die Pflegebranche schauen lässt.

Also Annemarie, was waren aus deiner Sicht die „Highlights“ im Januar 2022? Was hat die Pflegebranche bewegt und beschäftigt? 

„Highlight #1“: Kündigung ohne Nachfolger? Wer wird neue:r Pflegebevollmächtige:r?

„Die erste Januarwoche wurde direkt mit der Kündigung des Pflegebevollmächtigten Andreas Westerfellhaus vom Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach eingeläutet. Das war vor allem deshalb sehr interessant, da zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht feststand, wer der oder die Nachfolger:in werden sollte.“ 

„Highlight #2“: Bonuszahlungen sorgen für Spaltung und hitzige Diskussionen

„In der gleichen Woche folgte ein weiterer Paukenschlag: Herr Lauterbach kündigte an, die Bonuszahlungen ausschließlich an Pflegekräfte auf Intensivstationen auszahlen zu wollen. Niemanden überraschte es, dass eine hitzige Diskussion um diese Entscheidung herum aufbrannte. Hierzu im weiteren Verlauf des Artikels mehr.“

Wie bewertest du diese Entwicklungen, Annemarie? 

„Aus der Perspektive der Pflegepionierin kann ich sagen, dass sich mit dem neuen Gesundheitsminister Lauterbach einiges in der Branche bewegt. Ob gut oder schlecht sei erstmal dahingestellt. Dafür ist es auch noch zu früh, um jetzt schon eine Bewertung der Aktivitäten von Herrn Lauterbach abgeben zu können. 

Die offene Stelle des Pflegebevollmächtigten wurde bereits eine Woche später mit der Bundestagsabgeordneten Claudia Moll nachbesetzt. Gleichzeitig wurde mit der Ernennung auch eine weitere weitreichende Entscheidung getroffen: War Herr Westerfellhaus noch auf dem Status eines Staatssekretärs im Amt, ist es Frau Moll nun nicht mehr. Die Funktion der Pflegebevollmächtigten wurde in ihrem Status degradiert.“

Was hat es deiner Meinung nach für eine Auswirkung, dass ihre Stelle degradiert wurde? 

„Im Prinzip hat sie nun weniger Rechte als ihr Vorgänger Herr Westerfellhaus. In der Definition des Duden heißt es: Ein Staatssekretär ist „(in der Bundesrepublik Deutschland) ranghöchster Beamter besonders in einem Ministerium, der den Leiter oder die Leiterin der jeweiligen Behörde unterstützt und (in bestimmten Funktionen) vertritt“ (Duden, 2022). 

Das heißt Frau Moll wäre nun nicht mehr die ranghöchste Beamtin im Bundesgesundheitsministerium den Pflegebereich betreffend. Ein Staatsekretär, so heißt es weiter, unterstützt den Leiter der zuständigen Behörde. Das heißt, dass Frau Moll Herrn Lauterbach zwar unterstützen und vertreten soll, aber dann nicht als ranghöchste Beamtin, ihn demnach in bestimmten Situationen nicht wird vertreten können. Und das ist zugegeben eine starke, aber auch eine problematische Aussage und Botschaft, wenn wir das bildlich auf die vor allen Dingen in diesen Zeiten systemrelevante Bedeutung der Pflege übertragen möchten. Man hat die Profession Pflege und auch die Pflegeversorgung damit eigentlich degradiert und quasi im Sinne der Systemrelevanz abgewertet. Hier widersprechen sich also Aussage und Ausführung.“

Kommen wir an dieser Stelle einmal zurück zu unserem „Highlight #2“, der Bonuszahlung für Pflegekräfte auf den Intensivstationen. 

„Genau, dieses Thema polarisiert natürlich, weil ganz klar allen Pflegenden in allen Settings eine Bonuszahlung zustehen müsste. Gleichzeitig muss man aber auch in Frage stellen, ob eine Bonuszahlung DER Motivationsfaktor an sich ist, weil die Entlohnung ja letztendlich die eigentliche Belohnung sein sollte. Also stellt sich wie so lange schon die Frage: Wie und wann können Pflegekräfte endlich besser bezahlt werden? Es wird ja oft von einem Einstiegsgehalt von 4000 € Brutto gesprochen, wofür sich schon viele Verbände ausgesprochen haben. Jetzt kann man an dieser Stelle die Brücke zu unserem anderen Highlight #1 schlagen:

Was könnte die Pflegebevollmächtigte in diesem Amt tun, wenn es um die bessere Entlohnung geht? Und was, um die Altenpflege nicht hinten runterfallen zu lassen? 

Hier kann man sagen, dass mit Frau Moll eine erfahrene Altenpflegerin im Amt ist, die durchaus die Altenpflege in den Blick nehmen kann und sicherlich auch wird. Sie kann den Blick auf das Gesundheitssystems mit der Perspektive der Altenpflege erweitern. So könnten auch besonders bei Entlohnungsthemen Pflegekräfte der Altenhilfe durch Frau Moll entsprechend besser berücksichtigt werden, als es vielleicht vorher der Fall war. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie gut das im neuen Amt tatsächlich gelingen kann.“

Wie bewertest du denn die Ernennung von Frau Moll? 

„Grundsätzlich ist die Ernennung von Frau Moll mit ihrer beruflichen Qualifikation der Altenpflegerin als positiv zu bewerten, obgleich die Aberkennung der Funktion der Staatssekretärin durch den Bundesgesundheitsminister in Frage zu stellen ist. Außerdem sitzt Frau Moll seit 2017 im Bundestag und verfügt demnach über politische Kenntnisse und Erfahrungen, die ihr im Umgang mit Abgeordneten und Ministerialvertreter:innen sicherlich helfen können. Auch hat sie ein Thesenpapier zur Verbesserung der pflegerischen Situation in Deutschland im letzten Jahr veröffentlicht. Kritische Stimmen aus der Pflegebranche behaupten hier, dass das Thesenpapier jedoch nicht aussagekräftig genug erscheint, um „echte“ Veränderungen herbeizuführen.

Viele Lösungsvorschläge sind schon sehr lange bekannt und in der Diskussion. Eine Umsetzung dieser Lösungsvorschläge ist bisher allerdings ausgeblieben. Was ich allerdings an dieser Stelle besonders hervorheben möchte ist, dass Frau Moll altenpflegerische Kompetenz in ihr neues Amt einbringen kann. Das traf zum Beispiel auf ihre Vorgänger Herrn Westerfellhaus und Herrn Laumann (aktuell Landesgesundheitsminister in NRW) nicht zu. Welche Vorteile diese hervorstehende Kompetenz für die Pflegebranche an sich mit sich bringt, bleibt erst einmal abzuwarten. Dafür ist das Amt der Pflegebevollmächtigten noch zu jung besetzt.“ 

Herr Westerfellhaus kommt auch aus der Pflege, richtig?

„Ja, er war Krankenpfleger und studierter Pflegepädagoge. Er leitete zwei Jahrzehnte lang eine Bildungseinrichtung. Außerdem war er auch 8 Jahre lang Präsident des Deutschen Pflegerates und brachte neben der Pflegekompetenz dadurch auch berufspolitische Kenntnisse in das Amt des Pflegebevollmächtigten mit. Er setzte sich mit vielfältigen Themen und Perspektiven aus der Branche auseinander und zog nicht nur die Perspektive der Krankenpflege heran. Mit der Themenvielfalt der Branche wird sich auch Frau Moll auseinandersetzen müssen. Eine einseitige Sicht, nur aus der Altenpflege heraus gedacht, reicht für eine systemische Verbesserung sicherlich nicht aus. Daher sind die Herausforderungen, die mit dem frisch besetzten Amt einhergehen, nicht zu unterschätzen.“

Warum wir dich das fragen: Was bringt Frau Moll im Vergleich mit? 

„Was Frau Moll nun im Vergleich zu Herrn Westerfellhaus nicht mitbringt, ist die verbandspolitische Erfahrung und die pflegepädagogische Kompetenz. Dafür durchlief sie stattdessen einen ganz anderen Werdegang und eine ganz andere Professionalisierung. Sie hat sich schon sehr früh in ihrem Berufsleben für die Altenhilfe politisch eingesetzt, ist aktiv zu Protesten gegangen und hat für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege demonstriert. Darüber hinaus hat sie sich über gewerkschaftliche Positionen für die Pflege stark gemacht. Und natürlich bringt sie die Altenpflege-Kompetenz mit, welche ich als Bereicherung erachte. 

Auch wenn nun auf den ersten Blick gewisse pflegefachliche Kompetenzen mit der Nachbesetzung von Herrn Westerfellhaus verloren gegangen zu sein scheinen, bringt Frau Moll grundsätzlich andere Stärken und Perspektiven in das Amt ein. Grundsätzlich ist es aber erst einmal ein gutes Signal, dass das Amt überhaupt nachbesetzt worden ist. Wäre dieses Amt vollständig aufgelöst worden, wäre dies ein völlig missratenes Signal an die Berufsgruppe der Pflegenden aber auch an die Pflegebedürftigen und deren Angehörige gewesen.

Es bleibt alles in allem nun zu hoffen, dass die Ausführungen der neuen Pflegebevollmächtigten an dem anschließen, was Herr Westerfellhaus in der letzten Legislaturperiode aufgebaut hat (Stichwort: GAP-Projekt). Frau Moll hat bereits angekündigt, dass sie einige der guten Ideen weiterführen möchte. Und das ist erstmal grundsätzlich positiv zu bewerten.“

Lasst uns gespannt sein, was der Februar 2022 für die Pflege im Gepäck hat und aktiv daran arbeiten, dass es etwas Gutes sein wird.

Über die Expertin und Autorin dieses Beitrages

Profilbild von Annemarie Fajardo

Annemarie Fajardo

Hallo, ich bin Annemarie und bei den Pflegepionieren für Pflegemanagement mit dem Schwerpunkt ambulante und stationäre Altenhilfe. Ich bin Pflegepionierin, weil ich persönlich Pionierarbeit in der Pflegebranche in Deutschland als eine sehr wichtige Grundlagenarbeit erachte. Gerne möchte ich meinen Teil zur Verbesserung der Pflege beitragen.

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