Die Pflege im Januar 2022: Zwischen Pflegebevollmächtigten & Bonuszahlungen

Die Pflege im August 2022: Liquidität der sozialen Pflegeversicherung

Zusammen mit Pflegepionieren Annemarie Fajardo auf die Ereignisse und Nachrichten im August 2022. Was hat die Pflegebranche beschäftigt?

Im August 2022 beschäftigten uns die Liquidität der sozialen Pflegeversicherung und Lauterbachs Aussage in Hannover: „Pflegekräfte sollen impfen dürfen“.

Annemarie, was waren deine Highlights im Monat August? 

Zum einen war ein besonderes Highlight die Sicherstellung der Liquidität der sozialen Pflegeversicherung, denn die Pflegeversicherung hatte bereits zum Abschluss des vergangenen Jahres ein Defizit im Milliardenbereich. Zum anderen war der Besuch von Bundesgesundheitsminister Lauterbach in Hannover ein interessantes Highlight, denn er forderte im Gespräch mit Herrn Ministerpräsident Stephan Weil, dass Pflegekräfte zukünftig impfen sollen dürfen. 

Was genau hat es denn mit der Liquidität der Sozialen Pflegeversicherung auf sich?

Momentan wird vielfach über steigende Energiekosten und Spritkosten berichtet, die besonders die ambulanten Pflegedienste stark belasten. Gleichzeitig gibt es nach wie vor corona-bedingte Personalausfälle sowie fehlende Einnahmen, weil Pflegeplätze nicht belegt werden können, etwa weil das Pflegepersonal ausgefallen ist oder aber auch Isolierungsmaßnahmen zwangsläufig dazu führen, dass nicht alle Pflegeplätze belegt werden dürfen. Kommen also neben den steigenden Kosten noch fehlende Einnahmen hinzu, droht den Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen das wirtschaftliche Risiko, nicht mehr liquide genug zu sein. 

Unter dieser Betrachtung ist demnach die Sicherstellung der Liquidität der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) interessant, denn die SPV ist in den vergangenen Jahren zum Beispiel mit Corona-Erstattungsleistungen gem. § 150 Abs. 3 und Abs. 5a SGB XI eingesprungen, um die Pflegebetriebe vor der Insolvenz zu bewahren. So gehörten zu den erstattungsberechtigten Pflegebetrieben die ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen wie auch nach Landesrecht anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag nach § 45a SGB XI. Konnten demnach außerordentliche Mehraufwendungen oder Mindereinnahmen, etwa durch Nicht-Belegung von Pflegeplätzen, nachgewiesen werden, erhielten die Pflegebetriebe entsprechende Erstattung der SPV.

Der Haushalt der Pflegeversicherung

Schaut man sich nun den Haushalt der Pflegeversicherung an, fällt auf, dass im vergangenen Jahr die SPV bereits mit einem Defizit in Höhe von 1,35 Mrd. € abgeschlossen hatte (BMG 2022). Die Einnahmen lagen in 2021 bei 52,5 Mrd. € und damit höher als in 2020 (50,62 Mrd. €). 

Die Ausgaben stiegen jedoch von 49,08 Mrd. € auf 53,85 Mrd. €. Die SPV verfügte Ende 2021 noch über einen Mittelbestand in Höhe von 6,85 Mrd. €, was 1,6 Monatsausgaben entspricht. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 ergab sich aber ein Defizit von 1,95 Mrd. € (BMG 2022). Damit betrug der Mittelbestand Ende Juli nur noch 4,9 Mrd. €. Dieser Mittelbestand entspricht laut Haushaltsplänen der Pflegekassen rd. 1,1 Monatsausgaben und damit nur noch knapp dem derzeitigen Betriebsmittel- und Rücklagesoll bei abgesenkter Ausgabendeckungsquote.

Im Juli selbst war ein Defizit von 651 Mio. € zu verzeichnen (BMG 2022). Die Hauptursache für dieses Defizit sind die pandemiebedingten Ausgaben im Zuge der Corona-Erstattungsleistungen. Insgesamt sind hier Gesamtnettokosten bis einschließlich Juni in Höhe von rd. 1,15 Mrd. € entstanden. 

Zudem sind weitere Kosten für die SPV durch Erstattungen von Testkosten im Rahmen der Testverordnung entstanden, die sich in den ersten sechs Monaten des Jahres auf rund 1,18 Mrd. € beliefen (BMG 2022).

SPV Defizit
SPV Abschluss 2021 mit einem Defizit in Höhe von 1,35 Mrd. €

Dann ist es nachvollziehbar, dass die Liquidität der Pflegeversicherung sichergestellt werden muss, oder?

Ja, in der Tat sind bei einem solchen Defizit Überlegungen anzustellen, die die Refinanzierung bzw. die Liquidität der Pflegeversicherung absichern. Daher ist nun das Bundesamt für Soziale Sicherung der SPV zur finanziellen Unterstützung beigekommen, indem es ein Darlehen von einer Milliarde Euro zur Verfügung gestellt hat. Dieser ist an den Ausgleichsfonds der sozialen Pflegeversicherung überwiesen worden und unterstützt die SPV in wirtschaftlicher Hinsicht. Allerdings dürfte dies keine Lösung auf Dauer sein, denn die Pflegebetriebe haben nicht nur mit steigenden Energiekosten oder den pandemiebedingten Ausgaben und Mindereinnahmen zu tun, sondern ab dem 01.09.2022 auch mit erhöhten Personalaufwendungen, die im Zuge der Tariftreueregelungen umzusetzen sind. 

Die Liquidität der Pflegeversichung ist existenziell für Pflegebetriebe 

Selbstverständlich sind die neuen Vergütungsregelungen für die Beschäftigten in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen wichtig, denn besonders die Beschäftigten haben sehr große Kraftanstrengungen bis heute – und nicht nur wegen der Pandemie allein – aufbringen müssen. Nach wie vor sprechen wir im stationären Setting etwa von anzustrebenden Personalbemessungsgrundlagen (Stichwort: Rothgang-Studie) sowie von angemessener Vergütung und besseren Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte. Da sind derartige Schritte in Richtung einer angemessenen Vergütung wirklich unabdingbar, um Pflegekräfte in diesen stark anspruchsvollen Arbeitsfeldern tatsächlich langfristig halten zu können. Auf der anderen Seite müssen diese steigenden Kosten für die Pflegebetriebe auch bezahlbar sein. Demnach ist die Liquidität der Pflegeversicherung für die Pflegebetriebe existenziell, gleichwohl zu berücksichtigen ist, dass viele Pflegebedürftige den Großteil der entstehenden Kosten selbst zu tragen haben bzw. auch finanzielle Unterstützung durch die Sozialämter erfolgen. Wenn das BMG nun Überlegungen anstellt, die auch in Zukunft steigenden Kosten der Pflegeversicherung bezahlbar werden zu lassen, wären Reformen der Pflegeversicherung unumgänglich. 

Und was hat es nun mit den Forderungen des Bundesgesundheitsministers Lauterbach auf sich, Pflegekräften zu ermöglichen, selbst impfen zu dürfen? 

Interessant ist diese Forderung deshalb, weil die Pflegebranche und insbesondere die Berufsgruppe selbst schon länger fordert, Tätigkeiten auszuüben, die sie in ihrer Ausbildung mal gelernt haben, wie etwa Injektionen zu verabreichen. So gehört zum Beispiel das Verabreichen von Injektionen, etwa subkutan oder intramuskulär, zu einer tatsächlich erlernten Tätigkeit einer dreijährig ausgebildeten Pflegefachperson. Minister Lauterbach weiß um die Belastungen von Pflegekräften und ihren Kompetenzen, was schon einmal eine wesentliche Voraussetzung ist, solch eine Legitimation für Pflegekräfte herbeiführen zu wollen. Beim Pflege-Forum der Johanniter in Hannover sagte er: „Wenn MTAs oder Apotheker das können, dann können das Pflegekräfte auch“ und spricht dabei von Corona-Schutzimpfungen oder etwa auch das Verabreichen von Corona-Medikamenten. Wenn Pflegefachpersonen diese Tätigkeiten erlernt haben, dann sollten nach Ansicht Lauterbachs die Pflegefachpersonen auch diese Legitimation erhalten. Denn hierzulande „können die Fachkräfte viel, dürfen aber wenig. Sie sind in ihren Entscheidungen sehr eingeschränkt“, was sich seiner Meinung nach ändern soll (HAZ 2022).

Wie würdest du diese Forderung von Herrn Lauterbach mit den Überlegungen einer möglichen Reform der Pflegeversicherung in Verbindung bringen? 

Betrachtet man diese Überlegungen von Herrn Lauterbach, Pflegekräften im übertragenen Sinne mehr Verantwortung hinsichtlich medizinischer Behandlungspflege zu geben, vor dem Hintergrund steigender Personalkosten in den Betrieben, käme den höheren Gehältern auch noch mal eine ganz andere Bedeutung zu. 

Pflegekräfte leisten nicht nur viel, sie können auch noch viel und über höhere Gehälter zu sprechen, scheint aus meiner Sicht wirklich nur einen kleinen Teilbereich dessen darzustellen, was wir tatsächlich für den Erhalt der Berufsgruppe der professionell Pflegenden im deutschen Gesundheitssystem tun können. 

Bisher haben wir immer noch zu wenig dafür getan, Pflegekräfte im System zu halten. Demnach müssen wir in den politischen Diskursen auch wirklich deutlich mehr darüber sprechen, wie die Kompetenzen der Pflegekräfte stärker in das System eingebracht werden können, wie diese Kompetenzen dann alsTätigkeiten definiert werden und wie sie vor allen Dingen besser vergütet werden. Dies gilt selbstverständlich auch im Zusammenhang mit der Liquidität der Pflegebetriebe, die ebenfalls ein Interesse daran haben, Pflegekräfte zu halten.

Macht sich das BMG also auf den Weg, über Reformen der Pflegeversicherung nachzudenken und Reformvorschläge sogar noch in diesem vorzulegen, so sind nach meiner Auffassung eben auch die Kompetenzen der Pflegekräfte, ihr effektiver Einsatz im System und die Sicherstellung einer höheren Vergütung bei größerer Verantwortungsübernahme durch Pflegekräfte vollumfänglich aufzugreifen, um langfristig nicht nur die Finanzierung der Pflegeversicherung zu gewährleisten, sondern eben auch effektiv die pflegefachlichen Kompetenzen in das Gesundheitssystem einzubringen. 

Über die Expertin und Autorin dieses Beitrages

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Annemarie Fajardo

Hallo, ich bin Annemarie und bei den Pflegepionieren für Pflegemanagement mit dem Schwerpunkt ambulante und stationäre Altenhilfe. Ich bin Pflegepionierin, weil ich persönlich Pionierarbeit in der Pflegebranche in Deutschland als eine sehr wichtige Grundlagenarbeit erachte. Gerne möchte ich meinen Teil zur Verbesserung der Pflege beitragen.

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Geschrieben am 01. September 2022 um 14:48
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